AUFBRUCH/ABBRUCH

©Bonnert

Abriss sagt man ja nicht mehr. Rückbauen heißt das. Rückbauen, das ist vielleicht ein Ausdruck. Abriss. Zack. Zack. Zerrissen. Irgendwie kommt mir das Brutal vor. Aufräumen mit der Vergangenheit. Aufräumen nicht unbedingt im positiven Sinne. Weg. Abreißen. Wegreißen. Reißen hat etwas Brutales an sich. Weg damit. (Auszug aus einem Interview)

Seit dem 4. Januar 2010 dokumentiert die Künstlerin Sarah Bonnert den Abriss des Technischen Rathauses und die Bauarbeiten auf dem Dom-Römer-Areal mit zwei fest installierten Kameras. Aus dem gesammelten Material ist in Zusammenarbeit mit den Künstlern Björn Deigner (Ton) und René Liebert (Video) mit AUFBRUCH/ABBRUCH eine filmische Installation bestehend aus zwei Videos entstanden, die von einem Soundscape aus Interviewfragmenten und Baustellengeräuschen begleitet wird. Die Filme zeigen auf zwei sehr unterschiedliche Weisen den Abriss des Technischen Rathauses. Während im ersten Film die Bilder, die die Kamera tagsüber stündlich vom Abriss festgehalten hat, aneinander gereiht sind, ist der zweite Film eine Abfolge von 40 Bildern, die durch lange Blenden in einander übergehen. Der Abriss erhält in Film eins, bedingt durch die schnellen Bildwechsel und durch die hektischen und abgehackten Bewegungen der Kräne, etwas Brutales, während Film zwei eine kontinuierliche Bewegung beschreibt. Das Technische Rathaus scheint sich hier selbst zum Verschwinden zu bringen. Langsam, fast unmerklich, fällt es in sich zusammen, wird kleiner und ist plötzlich verschwunden. Es hat etwas von einem Auflösungsprozess und die Zerstörung von außen wird zur Autodestruktion. Das Ganze verliert an Brutalität und bekommt etwas Organisches, wie ein natürlicher Zersetzungsprozess, ein Verrotten.

KONZEPT/ UMSETZUNG: Sarah Bonnert

VIDEO: Sarah Bonnert, René Liebert

TON: Sarah Bonnert, Björn Deigner


STIMMEN
:

Peter Eleven (Künstler)

Sunil Gulati (Geschäftsführer Souvenir Gulati)

Dr. Hannelore Gwildis (Frankfurter Künstlerclub e.V.)

Ernst Dietrich Haberland (Frankfurter Künstlerclub e.V.

Dr. Andrea Hampel (Leiterin des Denkmalamts)

Dr. Wolfgang Leuschner (Analytiker)

Günter Possmann (Vorstand Altstadtfreunde Frankfurt)

Nicola Wagner (Stadtführerin; Kunstpädagogin)

Irina Zikuschka (Museumspädagogin)

AUSSTELLUNGEN:

10. – 14. Januar 2011, Evangelische Stadtakademie  Römer9, Frankfurt am Main

07. Mai 2011, Lange Nacht der Museen, Atelierfrankfurt, Frankfurt am Main

17. – 21. Mai 2011, Hessische Theatertage, Staatstheater Kassel

04. – 19. Juni 2011, Eine Art Aufruhr: Aktuelle Kunst in Position zu Politik, Haus am Lützowplatz, Berlin

28. Februar 2012, Finissage Ursula Edelmann. Ansichten zwischen Dom und Römer II, Galerie BRAUBACHfive, Frankfurt am Main

20. – 21. April 2012, V-Kunst. Neue Klarheit, Galerie BRAUBACHfive, Frankfurt am Main

PRESSE:

Gespensterhaft zucken die Galgen der Baukräne hin und her. Im Sekundentakt verdecken Wolkenbänke die Sonne. Sarah Bonnert aus Gießen hat den Abbruch des Technischen Rathauses mit Kameras festgehalten.

… Auf zwei Bildwänden verwandelt sich das Rathaus in ein Trümmerfeld, einmal langsam, in der Folge von etwa 40 Bildern, die überblendet werden; einmal schnell mit etwa 5000 Bildern. Letzteres lässt den Abriss des Rathauses, verfolgt über ein Jahr, wie einen Kurzfilm aussehen. Ein Daumenkino vom Abriss ergänzt die Ausstellung.”

Thomas J. Schmidt, Frankfurter Neue Presse, 12.Januar 2011, S.12.

„…  Als Teil ihres Langzeitprojekts Alte Stadt aus neuen Häusern, das bis zur Fertigstellung der neuen Altstadt andauern wird, hat Bonnert gemeinsam mit dem Videokünstler René Liebert mit Aufbruch/Abbruch eine filmische Installation in zwei Videos vorgelegt, die von einem Soundscape aus Interviewfragmenten und Baustellengeräuschen, das in Zusammenarbeit mit Björn Deigner entstanden ist, begleitet wird.

Die Reihung der fotografischen Baustellenbilder erinnert an jene virtuellen Visualisierungen oder auch an im Zeitraffer gezeigte Entstehungsprozesse monumentaler Architekturprojekte der letzten Jahre, die per Webcam live am Bildschirm mitverfolgt werden konnten. Doch stellt Bonnert in der Logik des Rückbaus diese Assoziationen auf den Kopf: Hier entschwindet ein nun nicht mehr existierender Bau im Erdboden.

Neben der medialen Selbstreflexion – etwa dass erst durch viele Einzelaufnahmen Bewegung entsteht – ruft die Arbeit auch die Filmbilder der Sprengung des Pruitt-Igoe Housing-Komplexes in St. Louis am 15. Juli 1972 wach. Während dort, in Godfrey Reggios Film Koyaanisquatsi aus dem Jahr 1982, die Bilder auf einen minutengenauen Fixpunkt festgelegt und nur von einer minimalistischen Musik des Komponisten Philip Glass untermalt erscheinen, zeichnet Aufbruch/Abbruch einen über Monate ablaufenden Zeitrahmen nach, der um von Bonnert aufgenommene Originalgeräusche und Interviews erweitert ist.

Damit wirft das Werk viel weitergehende Fragen auf als nur jene der (Un-)Rechtmäßigkeit des Abrisses: Woran erinnern wir und wieso? Was beeinflusst unsere Erinnerung? Was vergessen wir?

Nils Daniel Peiler, Katalogtext zur Ausstellung „Eine Art Aufruhr: Aktuelle Kunst in Position zu Politik“, 4.-19.Juni 2011, S.64.

Mit freundlicher Unterstützung durch die Evangelische Stadtakademie Römer 9, das Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main und das Kulturamt der Stadt Gießen